Mit Bukowski ins neue Schuljahr: Weg mit allem Seelenlosen.

Postkarte an Catrin

Wer liebt sie nicht, die Menschen, die am 31. Dezember auf lahmen Silvesterparties über gute Vorsätze schwadronieren, die oft allesamt auf Selbstoptimierung abzielen. Schau nur, ich bin auch ein braves Zähnchen im Rad und dafür möchte ich bitteschön auch geliebt werden. Geliebt werden für die Arbeit, die ich täglich überstündlich verrichte, für die sieben Joggingkilometer, die ich durchhechle, für Keto, für NoMeat, für Yoga und sanftes Erleuchtetsein, für whatever.

In NRW beginnt das Warmlaufen bereits und damit auch das Nachdenken über die beiden neuen Halbjahre. Unsere ersten Assoziationen mit guten Vorsätzen zum neuen Schuljahr sind augenscheinlich nicht sehr brauchbar, aus gutem Grund: Selbstoptimierung, um besser in der Schule zu funktionieren, stützt ein krankendes System:

Wir schreiben hier von uns. Jede für und von sich. Vielleicht um euch zu beflügeln, zu erheitern, vielleicht aber auch, damit ihr uns und andere mit euren Erfahrungen und Tipps anschiebt und Rückenwind gebt, wenn doch der Berufstrott mit all den fremden oder eigenen Erwartungshaltungen an sumpfiger Tiefe gewinnt.

Eigene Erwartungshaltungen - das ist mein Stichwort in diesem Schuljahr. Fremde interessieren mich gar nicht mehr so sehr, das war anders, als ich jünger war. Meine eigenen sind schon immer hoch gewesen. Das kann positiv sein, wenn Perfektionismus gepaart ist mit Fehlertoleranz. Klappt aber oft nicht, denn an meinem Umgang mit eigenen Fehlern hapert es noch und das führt dazu, dass ich oft angespannt bin, weil ich alles kontrollieren möchte: Ich darf nichts übersehen, ich muss in allen Bereichen gleich gut sein, ich muss alles allein können, ich muss Freude an der Arbeit haben, ich muss innovativ sein, etc. Die Liste ist lang. Ich weiß aber, dass die Angst, Fehler zu machen, mich hemmt, sie verengt meine Perspektive auf Menschen und Dinge und lässt mich mit mir selbst im ewig gleichen Gedanken beschäftigt sein, wo andere und anderes viel spannender wären. Ich möchte also:

  • so großzügig mit mir selbst umgehen wie mit anderen Menschen

  • meine eigene Erwartungshaltung klarer im Blick haben: sie aus- und ggf. umformulieren anstatt sie als Grundton zu setzen

  • unliebsame Aufgaben mit Gleichmut hinnehmen und keine Gedanken daran verschwenden

  • mehr vertrauen: in mich, in andere, in Welt

  • häufiger Abstand zu all diesen Gefühlen gewinnen, die da am Werk sind

  • gehen lassen: Menschen, Sachen, Ideen.

In den Ferien habe ich damit begonnen. Ich meditiere täglich, ich bewege mich täglich, ich nehme mir Zeit für Müßiggang und versuche, ein freundliches Selbstgespräch zu kultivieren. Nun gilt es, das mit in die Schulzeit zu nehmen. Das Wichtigste: Ich darf scheitern, ich darf Fehler machen. Sonst beißt sich die Katze in den Schwanz. Natürlich wird nicht alles besser mit einer griffigen To-Do-Liste wie oben, auf Vieles habe ich keine Antwort oder scheue gar die Frage. Vielleicht bleibt auch nur das als machbare Aufgabe übrig: Die Fragen leben.

Bezüglich (unangemessener) fremder Erwartungen hat mir bisher ein gewisse Lässigkeit ganz gut geholfen: Weghören, überhören, durchatmen, bevor ich antworte, auf Doofes nicht antworten, mich nicht vorschnell rechtfertigen, konsequent priorisieren: Ich tanze nur wild auf interessanten Hochzeiten, auf den anderen gratuliere ich, sitze dabei und wenn ich gähnen muss, gehe ich.

Iris hat ein Bild von sich gezeichnet und mir und uns erlaubt, stehenzubleiben, es zu betrachten und uns ggf. darin zu spiegeln. Das ist mein Anknüpfungspunkt und Stichwort: Positives, Bezeichnendes, Bereicherndes zu benennen. Wenn ich Schönes und Bewundernswertes sehe, Hilfe erfahre, Dinge abschauen kann und vor allem wenn ich dabei ich selbst sein darf, dann möchte ich es dem Gegenüber sagen und es auch völlig uneitel in die Welt tragen. Zur Wertschätzung, zum Beflügeln, zum Abspeichern und weil es auch Multiplikation und Vernetzung ist. Mit 44 lerne ich nämlich endlich, meinem persönlichen Ausflipppotenzial ins Auge zu blicken, um es dann abtropfen zu lassen: Die Kampftitelträgerin, den Mansplainer und manch eine Stocksteifigkeit. Stattdessen habe ich etwas begonnen und es fühlt sich gut an: Mit Unfertigem - von dir und mir - umzugehen.

Meine Kraft ziehe ich inzwischen aus der Loyalität der mich umgebenden Menschen, aus Mittagsschläfen, aus dem (gemeinsamen) Tun und dem lauten Denken. Manchmal bin ich dann in der Badewanne, oft schreibe ich. Manchmal auch beides zusammen und manchmal ist Iris dann auch in der Badewanne - in ihrer. Manch ein Feedback zu einer Clubhouse-Sendung, viele Tweets und unzählige Überlegungen zu Schüler:innen, Seminar- und Unterrichtskultur und nicht zuletzt auch zu mir sind hier entstanden. Seit den Sommerferien beschließe ich den Tag übrigens, wenn @UBrummack auf Twitter allabendlich fragt: „Und, was habt ihr heute so gemacht?“ - das ist meine persönliche Form der Reflexion und der Wasserstandsmeldung, daran möchte ich festhalten.

Hast du auch etwas Persönliches für die Lesenden? Eine Erkenntnis, einen Tipp oder einen Kommentar? Dann seid ganz herzlich eingeladen, das in dieses Padlet einzutragen - wir freuen uns auf viele Ideen dazu, wie man mit Rückenwind ins neue Schuljahr gehen kann.






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