Umgang mit Texten im Fremdsprachenunterricht: bitte digital.

Der Kernlehrplan in NRW lässt Lehrer:innen und Schüler:innen viel Freiraum im Umgang mit Texten. So können unterschiedliche, auch digitale Textsorten ausgewählt werden, an denen Text- und Medienkompetenz erworben werden soll. Das ist erfreulich, denn so können Lehrkräfte auf Schüler:inneninteressen eingehen und diese an der Textauswahl beteiligen. Auch die eigene Textproduktion der Lernenden ermöglicht Freiraum: Lernende sollen laut Kernlehrplan eine Vielzahl unterschiedlicher Textsorten produzieren können, so z.B. Kommentare, Leserbriefe, Blogbeiträge, E-Mails etc. Das ist ebenfalls erfreulich.

Unerfreulich ist oft, was daraus gemacht wird. Blogbeiträge werden auf Papier verfasst, Leser:innenbriefe niemals abgeschickt, Kommentare versauern in Word oder anderen Textverarbeitungsprogrammen oder auf Padletwänden, wo sie aber zumindest nicht nur für die Lehrkraft, sondern für die ganze Gruppe verfasst wurden. Ihr seht, wo ich hinmöchte - und das ist sicher wenig überraschend: Fremdsprachenunterricht muss nach außen geöffnet werden, wenn das Ziel des Fremdsprachenunterrichts - nämlich die Förderung der interkulturellen Handlungsfähigkeit - erreicht werden soll.

Was tun kann man nun tun, um Schüler:innen im adressatengerechten Schreiben zu unterstützen? Was kann man tun, um Schüler:innen die Möglichkeit zu geben, sich diskursiv und sensibel mit anderen Kulturen auseinander zu setzen? Es gibt da vieles, ja. Rollenspiele und so. Was-wäre-wenn und Critical Incidents und, und, und. Gemein ist allen, dass interkulturelles Lernen im Klassenraum stattfindet und der “Ernstfall” nur erprobt wird. Das ging lange Zeit nicht anders und hatte und hat Auswirkungen: Ich beobachte immer wieder, dass Schüler:innen sich viel weniger respektvoll und sensibel im Umgang mit anderen Kulturen verhalten, als sie es in realen Situationen tun würden: Da wird Spaniern in Leserbriefen ihr Land erklärt, in der Sprachmittlung sowieso, da wird der Muttersprache der Katalanen die Existenzberechtigung mal eben abgesprochen und der indigenen jungen Frau aus dem Roman gehörig die Meinung gegeigt, weil sie mit 16 schwanger wurde. Wenn so etwas passiert, kann man im Unterricht darüber ins Gespräch kommen, das ist klar. Aber es muss ja nicht so sein: Wenn Lernende die Gelegenheit haben, die Texte, die sie im Unterricht lesen, im Internet zu kommentieren, mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen, wenn sie also selbst Verfasstes veröffentlichen, dann ist der Zugang ein anderer: Der Adressat, bzw. die Adressaten sind “echt” und das, was Schüler:innen wirklich sagen möchten, erhält eine ganz andere Bedeutung für sie. In Realsituationen geht es nicht darum, möglichst viel zuvor Gelerntes auszuspucken, mit möglichst reichhaltigem Vokabular, sondern darum, ob Lernende sich verständlich machen können, in Aushandlungsprozessen agieren können, für sich einstehen können, etc. Das ist ein anderes Schreiben, ein anderes Lernen.

Dazu braucht es aktuelle Materialien - auch hier setzen Lehrpläne keine Grenzen: Covid 19 hat die Tourismusbranche in Spanien verändert und ich kann als Lehrer:in nicht mehr die Materialien von 2017 nehmen, das gleicht gilt für Kinderarmut in Lateinamerika, für Migrationsbewegungen, etc. Das ist Arbeit, deswegen ist es wichtig, dass Fachschaften dies gemeinsam stemmen und Fremdsprachenlehrer:innen sich vernetzen und Materialien teilen.

Ein letzter Gedanke noch: Klassische Klausurformate setzen dem Umgang mit Texten Grenzen. Prüfungskultur, sie muss sich ändern. Während ich darauf warte, kann ich in meinem Unterricht aber schon die Weichen anders stellen






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Bewertungskriterien im Unterrichtsalltag überdenken: Melde sich, wer kann?

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