Vokabellernen. Ohne Tests, ohne Lehrbuchlisten.

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Vokabellernen ist eine unliebsame Aufgabe. So sehen es viele Schüler:innen und auch auf Lehrer:innenseite führt das Thema oft zu Frust. Zu viel, zu langweilig heißt es auf der einen, zu faul, zu unmotiviert auf der anderen Seite. Beides verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass trotz lange bekannter Erkenntnisse zum Wortschatzerwerb diese immer wieder im Fremdsprachenunterricht missachtet werden: Es werden tatsächlich oft zu viele Vokabeln aufgegeben, isolierte Einzelwörter sollen gelernt werden, die Liste zur Lehrbucheinheit ist ein gern eingesetztes Material. Zu Beginn des Schuljahres werden einmal Vokabellernstrategien besprochen, vielleicht werden auch noch lustige Wortschatzspiele im Unterricht gespielt - das war’s. Denn (und das weiß doch jeder): Vokabeln muss man einfach mal pauken.

Dass Vokabeln gelernt werden müssen - daran ist erst einmal nichts zu rütteln, Wortschatz ist für die Verständigung sogar noch wichtiger als Grammatik. Gerade aus diesem Grund verdienen sie aber einen festeren und anderen Platz im Unterricht als bisher.

Vokabellernen nicht nur zu Hause

Warum sollte das Einprägen von Vokabeln nicht auch Raum im Unterricht haben? Einige Minuten zum Schluss jeder Stunde kann sicher jeder erübrigen. In dieser Zeit können Schüler:innen gemeinsam Wörter lernen - die Strategien dazu sind bekannt und zu zweit macht es oft mehr Spaß. Auch als Sprinteraufgabe ist die Vokabelarbeit möglich. Auf diese Weise fühlen sich schnellere Schüler:innen möglicherweise nicht durch Zusatzaufgaben bestraft, sondern freuen sich, das Vokabellernen schon im Unterricht erledigen zu können.

Um den Fokus auf die korrekte Anwendung des Wortschatzes zu lenken, kann ich Situationen, in den Schüler:innen sprachhandelnd tätig werden, kurze Wortschatzphasen vorschalten: Ein paar Minuten, während derer für die folgende Kommunikation wichtige Wörter eingeprägt werden, z.B. vor einer Diskussion. Auch lohnt es, nach Phasen inhaltsbezogenen kommunikativen Handelns, in denen neuer Wortschatz in sinnstiftenden Kontexten angewandt wurde, kurz nachzusteuern und in einer sprachbezogenen Phase den Umgang mit neuen Wörtern einzuordnen, bewusst zu machen, zu reflektieren.

Sicherlich ist es dennoch nötig, dass Schüler:innen auch zu Hause Vokabeln lernen. Bevor das geschieht, sollten Wörter vernetzt werden, um ihren Platz im mentalen Lexikon zu finden. Dies sollte schon im Unterricht geschehen und kann von Schüler:innen vorbereitet und vorgestellt werden. An dieser Stelle immer wieder gemeinsam zu überlegen, wie man am besten Wörter lernt, festigt und stärkt Lernstrategien. Lange Lehrbuchlisten, allein am Schreibtisch - das ist eine demotivierende Vorstellung.

Lernmotivation schaffen

Ich möchte nicht, dass meine Schüler:innen Vokabeln lernen, um eine gute Note in einem Test zu schreiben. Das begünstigt Bulimielernen und viele andere Dinge, die Lernen verhindern. Ich möchte, dass meine Schüler:innen Vokabeln lernen, weil sie etwas mitteilen möchten. Dazu gehört sicher nicht, was welche Lehrbuchfigur wann zu Abend isst, wann ihr Geburtstag ist und was sie ihrer besten Freundin in einer Textnachricht schreibt. Solche Lehrbuchtexte kann ich (wenn ich denn unbedingt will) als Steinbruch nutzen, um möglichst schnell zu meinem Hauptfokus im Unterricht zu kommen: Die Schüler:innen. Was interessiert sie? Worüber möchten sie gemeinsam nachdenken und sprechen? Was möchten Sie gern in der Fremdsprache ausdrücken können? Wenn ich dieser Perspektive so konsequent wie möglich nachgehe (und nachfrage, anstatt zu vermuten), schaffe ich Mitteilungsbedürfnis und Ausdruckswillen. Eine Konsequenz dessen ist, dass ich mich vom Lehrbuch als heimlichem Lehrplan verabschiede und es als Angebot sehe, nicht als Muss. Ebenso heißt es, dass ich Schüler:innen beim Aufbau eines individuellen Wortschatzes unterstützen muss, indem ich früh den Umgang mit Hilfsmitteln wie digitalen Wörterbüchern übe. Dabei hilft ein flexiber Umgang mit dem Lehrbuch: Nicht alles muss bausteinartig ineinanderpassen. Ich muss nicht die Vokabeln in Unidad 5 können, um Unidad 6 zu verstehen. Ich kann auch Unwichtiges überlesen und das Wörterbuch nutzen, wenn mir etwas fehlt. Ich kann sogar DeepL einsetzen, um meinem Ausdrucksbedürfnis nachzugehen - nämlich immer dann, wenn es sinnvoll erscheint und es im Nachgang Gelegenheit gibt, dort Entnommenes zu klären, zu systematisieren und für den späteren Gebrauch nutzbar zu machen. Strategieschulung hilft dabei, sich auf den Weg zur selbständigen Fremdsprachenlern:in zu machen und individualisiert. Das gilt in besonderem Maße für die Wortschatzarbeit.

Verantwortung für das eigene Lernen übernehmen

Wenn Schüler:innen die Möglichkeit dazu gegeben wird, Verantwortung für ihr eigenes Wortschatzlernen zu übernehmen, wenn ich ihnen vertraue und zutraue, außerhalb des engen Korsetts zu lernen, wenn das Vokabellernen auch einen Stellenwert im Unterricht erhält, dann kann ich auf Vokabeltests verzichten - vielleicht als Experiment, das sich später als geglückt erweist. Das heißt nicht, dass Verbindlichkeit und Struktur fehlt, im Gegenteil. Ich muss natürlich Lernziele klar kommunizieren, Rahmen verschiedentlicher Art abstecken und da begleiten, wo Eigenverantwortung noch schwer ist. Unterstützend, nicht vorschreibend, Halt gebend, nicht einengend.

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Statement: Möglichkeiten, auf den eigenen Unterricht zu schauen