Scrum + Lernen durch Lehren = Big Love

Anfang des Jahres habe ich Scrum im Fachseminar ausprobiert - meine Lehramtsanwärter:innen haben Konzepte zur Sprechförderung erarbeitet. Das positive Feedback und die guten Ergebnisse haben nun dazu geführt, Scrum auch im Spanischunterricht zu nutzen und - mehr noch - es mit der Methode des Lernens durch Lehren von Jean-Pol Martin zu verbinden. Die Kombination beider Ansätze erlaubt die Förderung vielfältiger Kompetenzen.

Indem Schüler:innen in einem Team gemeinsam Lernwege für andere entwerfen, schulen sie unter anderem den Umgang mit Texten und Medien und ihre Sprachlernkompetenz durch d. selbständige Auswahl und Didaktisierung von Materialien, sie erweitern ihr soziokulturelles Orientierungswissen eigenständig und sie üben das freie spontane Sprechen in unterschiedlichen Kontexten. Das ist komplex, vor allem, wenn die Lerngruppe das Spanische durchgängig als Arbeitssprache nutzen soll. Scrum hilft dabei, die Schüler:innen bei dem Entwurf und der Durchführung eigener Stunden zu unterstützen: Es ist als Rahmenwerk zu verstehen, das freiem Arbeiten jenseits von Beliebigkeit eine verbindliche Struktur gibt - je komplexer und freier die Aufgabe, desto klarer und verbindlicher sollte die Umgebung gestaltet sein, in der dies geschieht. Wer sich in die Grundzüge von Scrum einlesen möchte, kann dies in Catrins Blogbeitrag vom August dieses Jahres tun.

Lerngruppe, Thema und Einsprachigkeit

Zur Einführung von Scrum und LdL, beides ist meinen Schüler:innen unbekannt, habe ich mich für einen leistungsstarken Kurs in der Q 1, 4. Lernjahr, im Rahmen des Themas der Kinderarmut in Lateinamerika (obligatorisch für das Zentralabitur in NRW) entschieden. Aufgaben der Schüler:innen ist es, eine 90minütige Lerneinheit zu einem selbstgewählten Aspekt zu planen und durchzuführen.

Die Schüler:innen können auf Vorkenntnisse aus anderen Fächern zum Thema Kinderarmut zurückgreifen und - was mir noch viel wichtiger ist: Die Nutzung des Spanischen als Arbeitssprache wurde seit der achten Klasse so kontinuierlich aufgebaut, dass die Lerngruppe durchgängig Spanisch in allen Unterrichtsphasen spricht. Die Lernenden sind es z.B. gewohnt, ihre Zusammenarbeit in der Fremdsprache zu organisieren, über die Nutzung von digitalen Tools und Endgeräten zu kommunizieren und sich gegenseitig sprachlich zu unterstützen. Wenn Lerngruppen nicht über diese Vorkenntnisse verfügen, müssen sie zunächst aufgebaut werden. Die Phase, in der die Schüler:innen im Scrum-Team arbeiten, dauert nämlich mehrere Wochen - das hieße, die Gruppe über mehrere Wochen über weite Strecken Deutsch sprechen zu lassen - undenkbar für mich. Die Lerngruppe ist es gewohnt, eigene Interessensgebiete auszuwählen, in Teams selbständig zu arbeiten und Arbeitsergebnisse für andere aufzubereiten. Neu ist für sie die Planung und Durchführung einer Unterrichtsstunde. Aus diesem Grund werden Kriterien für eine gute Stunde vor Beginn der Arbeit gemeinsam gesammelt und besprochen, um dann in den Feedbackschleifen und in der Endauswertung darauf zurückzugreifen. Auch können die Schüler:innen Tipps rund um Unterrichtsstunden (z.B. zur Phasierung, zum Lehrer:innenverhalten und zur Lehrer:innensprache) nutzen, die von mir bereitgestellt werden.

Überlegungen zur Durchführung

Einstieg ins Thema

Vor der Arbeit in Scrum Teams steht eine kurze Phase des thematischen Einstiegs anhand des Kurzfilms EL sueño de Mariana, der den Tagesablauf dreier lateinamerikanischer Jugendlicher nachzeichnet, die auf der Straße leben. Ausgehend von ihren eigenen Träumen und Wünschen können die Schüler:innen unterstützt durch Hör-/Sehverstehensaufgaben zum Film ihre Lebenswelt mit der im Film dargestellten vergleichen und auf diese Weise sowohl für die Thematik sensibilisiert werden als auch eigene Fragen für die weitere Arbeit am Thema der Kinderarmut in Lateinamerika formulieren. Ausgehend von diesen Fragen recherchieren Sie selbständig erste Informationen zum Thema und stellen sich diese zur Förderung der Sprechkompetenz in einem Omniumkontakt gegenseitig vor.

Die Arbeit mit Scrum

Scrum ist ein Modell, das sich aus unterschiedlichen Einzelelementen zusammensetzt, die durch spezielle Bezeichnungen und Beziehungen gekennzeichnet sind. Die Reduktion von Komplexität - vor allem in Bezug auf die Fremdsprache - ist deswegen besonders in den Blick zu nehmen. Aus diesem Grund habe ich eine Adobe-Spark-Präsentation erstellt, die nur die wichtigsten Zusammenhänge und Regeln erklärt - in einer den Spanischkenntnissen der Lerngruppe angepassten Sprache. Diese Präsentation lesen die Schüler:innen zunächst, um sich dann in ihren Gruppen darüber auszutauschen, wie ihre Arbeit auf den jeweiligen Gegenstand bezogen aussehen könnte. Dazu gehört es sicherlich auch, sich erst einmal begrifflich und räumlich (an meiner Schule gibt eine Padlet-Lizenz für Lehrer:innen, deswegen finden die Teams alle Materialien und die Kanban Boards dort) zu orientieren und ggf. offene Fragen zu klären. In Scrum Teams gibt es verschiedene Rollen für einzelne Teammitglieder, so z.B. den Scrum Master, der der “Kopf” der Gruppe ist. Eine Rolle habe ich zur Förderung der Nutzung des Spanischen als Arbeitssprache hinzugefügt: Den Linguisten, der die Einsprachigkeit in der Gruppe unterstützt. Die unterschiedlichen Rollen, Ereignisse und Artefakte habe ich ins Spanische übersetzt - Spanischlehrer:innen werden wissen, dass dies in Spanien üblich ist. In Klammern finden die Schüler:innen jedoch immer die englischen Bezeichnungen.

Sprints und Feedback

Die eigenständige Planung von Sprints ist sicherlich eine große Herausforderung für die Lernenden, denn es gilt, eine komplexe Aufgabe in eine sinnvolle Folge von Einzelaufgaben zu gliedern, den Zeitaufwand zu planen, die Arbeit zu verteilen und dabei den Scrum-Regeln zu folgen. Zur Unterstützung habe ich beispielhaft drei Sprints formuliert, die die Scrum Teams als Modell entweder übernehmen oder abändern können. Auch ein völlig anderes Vorgehen ist natürlich möglich. Besonders reizvoll an Scrum sind die Feedbackzyklen, die dazu dienen, das Lernprodukt, hier die Planung und Durchführung einer Unterrichtsstunde, zielgerichtet zu optimieren. Dies geschieht in kurzen Treffen der einzelnen Scrum Teams mit mir, während derer sie ihre Ergebnisse präsentieren und mit mir darüber je nach Feedbackwunsch ins Gespräch kommen. In der Fremdsprache will auch das sprachlich unterstützt werden, sowohl durch den Linguisten der Gruppe als auch durch Scaffolding im Vorfeld.

Zeitlicher Rahmen und Klausur

Die Lerngruppe hat drei Stunden Spanisch pro Woche, zwei Stunden in der A-Woche und vier Stunden in der B-Woche. Die Durchführung der von den Schüler:innen geplanten Unterrichtsstunden dauert zwei Wochen. Für den Einstieg habe ich zwei Doppelstunden vorgesehen, für die Auswertung am Ende eine und die Arbeitsphase - den Sprint - zeitlich flexibel geplant, sprich gar nicht. Ich möchte die Teams gerade beim Einstieg in die Arbeit mit Scrum und LDL nicht unter Druck setzen, selbst wenn am Ende immer eine Klausur steht, die ich in der Oberstufe nicht durch ein Ersatzformat gangbarer machen kann. Möglich ist es aber, dass die Schüler:innen zur Art des Arbeitens passende Aufgabenstellungen bearbeiten - allerdings im Spannungsfeld von Teaching to the Zentralabitur und Individualisierung, dies machen allein die engen Vorgaben nötig. Eine logische Konsequenz des Lernens durch Lehrens wäre es z.B., dass die Schüler:innen selbst mögliche Klausurtexte heraussuchen.

Material

Hier findet man das unterrichtsbegleitende Padlet mit allen Arbeitsaufträgen, Hilfen und Vorlagen zur Präsentation von Scrum.

Ausblick

Scrum erscheint gerade für einen handlungs- und kommunikationsorientierten Unterricht vielversprechend, gewährt es doch den Lernenden die nötige Autonomie, die ein:e lebenslange:r Sprachenlerner:in braucht. Die ersten Schritte mit LdL zu tun, einer bewährten Methode, erlaubt den Schüler:innen einen vertiefte Auseinandersetzung mit einem Gegenstand ihres Interesses - zusammen mit der Unterstützung anderer. Diese Art der Arbeit verlangt eine veränderte Lehrer:innenrolle. Kontrolle muss abgegeben werden, die Lehrkraft als einziges Sprachmodell - lediglich abgewechselt durch didaktisierte Hörtexte aus dem Lehrbuch oder mal einen Film - das war nie gut und wird es auch nicht mehr. Erste Schritte zu mehr Selbständigkeit begleiten und dabei die mannigfaltigen digitalen Möglichkeiten nutzen, um den spanischsprachigen Kulturraum näher zu bringen - wer sollte das nicht wollen? Werft also die Lehrbücher aus dem Fenster und probiert aus, vernetzt euch, verwerft und schafft neu. Ich glaube, das lohnt.

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Eine Handvoll Überlegungen zu zeitgemäßem Fremdsprachenunterricht

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Vokabellernen. Ohne Tests, ohne Lehrbuchlisten.