KI in den Fremdsprachen: Additum oder Neuausrichtung?
Im Dezember 2022, kurz nach dem Startschuss von Chat GPT , habe ich einen frühen Blogartikel über die Nutzung von KI im Fremdsprachenunterricht geschrieben. Schüler:innen müssen KI kennen und kompetent einsetzen können, daran hat sich nichts geändert. Alles andere entwickelt sich rasant und folgt im Schulbereich den üblichen Wegen, Wellen, Irrungen und Wirrungen. KI wird vielerorts im Unterricht eingesetzt, die Devise ist häufig “einfach mal machen”. Die Angst, dass KI nicht oder nicht früh genug Eingang in den Unterricht findet, ist ein Kontinuum bei verschiedenen Akteur:innen im Bildungsbereich und durchaus berechtigt: Es wurde jetzt schon vieles furchtbar verschnarcht, zum Beispiel könnte es längst schon einheitliche adaptive Lernumgebungen für die Fremdsprachen geben. Diese Angst ist es wohl auch, die vielerorts Knöpfchenkunde in den Vordergrund stellt. Daraus wird schnell l’art pour l’art, darüber hat Axel Krommer schon treffend geschrieben.
Wir können uns weiterhin mit Prompting-Kunde und den Möglichkeiten von KI-Tools im Unterricht befassen und dieses Spiel ewig in der Hoffnung betreiben, dass KI nur ein Additum zum Bestehenden ist. Wir sind halt doch kleine Bewahrlinge ohne große Traute. Das ist verständlich. Dennoch müssen wir irgendwann ran an den Speck. Dazu möchte ein Beispiel aus meinem Französisch-Kurs in der Stufe 9 schildern. Meine Schüler:innen haben sich gewünscht, Präsentationen zu französischsprachigen Ländern zu halten. So weit, so klassisch. Sie haben Lernschritte und -ziele, Arbeitsformen etc. selbständig in der Gesamtgruppe festgelegt und sind nun dabei, ihre Präsentationen vorzubereiten. Ein für alle Schüler:innen logisch erscheinender, effizienter Workflow ist es, Informationen über die ausgewählten französischsprachigen Länder auf Deutsch zu suchen, sie zu sammeln und dann mit Hilfe von KI oder ganz von KI ins Französische zu übersetzen. Das klappt wunderbar und sprachlich so gut wie fehlerfrei. Natürlich ist das Skill Skipping in verschiedenen Kompetenzbereichen des Fachs, aber ich kann es keinem Lernenden verdenken, zumal es sogar Vorteile gibt: Nur halb verstandenes Schrift-Französisch wird auf diese Weise nicht einfach in eine Präsentation übernommen. Jetzt kann man an die Vernunft der Lernenden appellieren und gemeinsam darüber sprechen, warum es wichtig ist, sich in der Fremdsprache zu bewegen. Meine braven Schüler:innen tun dies dann auch. Ähnliche Beispiele gibt es sehr viele für die zweiten und dritten Fremdsprachen, vor allem im Bereich des Schreibens, aber auch des Sprechens. Die meisten Schüler:innen in Klassen mit 1:1-iPad-Ausstattung nutzen KI zur Sprechvorbereitung und kommen so kaum ins eigenständige Formulieren. Ähnliches passiert in der Sekundarstufe I sowohl bei herkömmlichen als auch bei alternativen Prüfungsformaten, sei es, dass der noch geringe Sprachschatz in den ersten Jahren dazu führt, dass das Thema des textproduktiven Teils so vorhersehbar ist, dass Lernende mit KI zu Hause einen Text vorschreiben und auswendig lernen (In Prä-KI-Zeiten passierte das selten, wenn es zu Hause keine elterliche Hilfe gab.), sei es, dass sie ihren Text für die Präsentation von KI verfassen lassen. Damit das nicht passiert, kann ich auf Vorgaben setzen: In den Fremdsprachen kann man selbst formulierte Texte sehr gut von KI-Texten unterscheiden und Verstöße gegen die Regeln als Täuschungsversuch ahnden. Das ist mühsam, auf Dauer wenig praktikabel und auch verfehlt. Eine weitere Möglichkeit ist es, die KI als Hilfsmittel zuzulassen. Eine Frage bleibt jedoch: Warum sollen die Schüler:innen all diese Texte der ersten Lernjahre, die schon hundertfach von anderen verfasst wurden, überhaupt selbst schreiben? Landeskundliche Blogeinträge, E-Mails an fiktive Austauschpartner:innen, Kochrezepte, Instamgram-Posts über ihr Viertel, die Liste ist endlos.
Wieviel muss im Fremdsprachenunterricht geschrieben werden? Muss überhaupt ohne Hilfe geschrieben werden? Wozu brauchen wir schriftliche Sprachmittlung? KI kann auch Kultur und gar nicht mal so schlecht. Wie soll der Fremdsprachenunterricht aussehen, wenn überall KI verfügbar ist? Wir könnten damit beginnen, uns Gedanken über eine veränderte Förderung der Mündlichkeit zu machen. Das hört sich leicht an, braucht aber eine veränderte Prüfungskultur ohne punktuelle mündliche Prüfungen und teaching-to-the-test, einen veränderten Umgang mit Fehlern und eine andere Bewertungspraxis. Transkulturelles Lernen kann, soll und muss stärkeren Eingang in die Sekundarstufe I finden. Die sträflich vernachlässigte Sprachbewusstheit gehört ins Zentrum gerückt und der Patient Schreiben muss vollkommen neu überdacht werden.
Bis dahin befinden wir uns in einer seltsamen Zwischenwelt und polarisieren munter - vielleicht aus Sehnsucht nach Komplexitätsreduktion. Geht aber so nicht, wissen wir eigentlich auch. Was ist nun momentan möglich? Mein Ausgangspunkt für die Nutzung von KI im FSU ist die Perspektive des Upskilling und Deskilling. KI kann richtig eingesetzt eine hervorragende Lernpartnerin sein. Wann KI in meinem Unterricht genutzt wird und wann nicht, darüber setze ich mich regelmäßig mit meinen Schüler:innen auseinander und die Antworten sind nie die gleichen. Besonders im Bereich der Förderung der Sprechkompetenz achte ich sehr auf Phasen der Analogität und Hilfsmittelfreiheit. Vielleicht ist es endlich an der Zeit, Schülerinnen und Schüler in Französisch und Spanisch spontan und frei sprechen üben zu lassen anstatt das tausendste Dialoggerüst oder den x-ten Notizzettel zu nutzen (oder KI). Eine Möglichkeit für die Einübung des Umgangs mit KI ist stärker projektorientiertes Arbeiten im Sinne der Förderung der 4K auch in den ersten Lernjahren. Dazu muss der Anfänger:innenunterricht anders aussehen. Schüler:innen müssen früher und viel intensiver lernen, wie sie gemeinsam in der Gruppe die Fremdsprache als Arbeitssprache nutzen. Dazu braucht es Zeit und Übung, hier könnte man beherzt Lehrbuchinhalte kürzen. Spätestens nach dem zweiten Lernjahr sind die Schüler:innen zurecht gelangweilt davon. Auf diese Weise ermöglichen wir auch stärkere Individualisierung, insbesondere Gymnasien haben sie oft verschlafen oder hängen immer noch in der Drei-Arbeitsblätter-auf-verschiedenen-Niveaus-Schleife fest.
Unterrichtsgestaltung ist auch eine Haltungsfrage. Meine eigene zu erkunden, im Gespräch mit anderen abzugleichen und zu verhandeln, mich immer wieder zu fragen: “Warum mache ich das so und nicht anders?”, das ist anstrengend und bedarf manchmal des Innehaltens oder des Ignorierens und Wegschiebens. Ungewissheit aushalten - um mit meinem Freund Rilke zu sprechen - und nicht so tun, als gäbe es sie nicht, daran möchte ich mich trotzdem halten.