Eine Handvoll Überlegungen zu zeitgemäßem Fremdsprachenunterricht

Vor allem in der Sekundarstufe I ist Spanischunterricht häufig noch geprägt durch hohe Grammatiklastigkeit, starke Kleinschrittigkeit und enge Vorgaben in Bezug auf das, was die Schüler:innen lesen, worüber sie sprechen und mit welchen Redemitteln sie sich ausdrücken. Kommunikation bleibt also lehrer:innenzentriert (oder lehrbuchzentriert) und eng geführt, auch wenn kooperativ gearbeitet wird. Individuellem Ausdruckswillen wird kaum Rechnung getragen und so auch selbständiges Sprachenlernen zu wenig gefördert, ebenso wie offenere Arbeitsformen. Damit ist kein Stationenlernen mit vorgegebenen Aufgaben oder Wochenplanarbeit mit Übungen auf drei verschiedenen Niveaustufen gemeint - sondern ein Unterricht, in dem Schüler:innen die Gelegenheit bekommen interessengeleitet gemeinsam mit ihren Mitschüler:innen an einer Sache / einem Produkt zu arbeiten, sich über interkulturell relevante Themen zu informieren und in der Fremdsprache zu diskutieren - um nur einige Beispiele zu nennen. Solch ein Unterricht lässt sich leichter ermöglichen, wenn von Beginn einige grundlegende Aspekte bei dessen Konzeption, aber auch bezüglich der Lehrer:innenrolle bedacht werden.

Selbständiges Sprachenlernen trainieren - von Beginn an

Eine Rallye durch das Lehrbuch, auf diese Weise beginnt so mancher Fremdsprachenunterricht. Das Lehrbuch zu kennen und zu wissen, wie man es benutzt, daran ist nichts falsch, solange man nicht dort stehenbleibt und die Grenzen der Lehrbuchwelt nicht als die der Lernendenwelt begreift. Selbständiges Sprachenlernen von Beginn an zu fördern heißt, bei der Konzeption des Unterrichts immer im Blick zu haben, inwieweit Schüler:innen ermöglicht wird, bestimmte Dinge selbst zu tun. Methodentraining mit dem Ziel der eigenständigen Methodenauswahl kann ein Stichwort dafür sein, zum Beispiel im Bereich der Sprechförderung: Welche unterschiedlichen Wege können Schüler:Innen ausprobieren, um möglichst frei über ein bestimmtes Thema zu sprechen? Einen Dialog lesen, eine Einsetzübung machen, einen Tandembogen zu zweit lösen, einen Dialog in Stichworten aufschreiben, das ist der häufig von Lehrkräften vorgeschlagene Weg, den alle Lernenden gehen müssen - ohne Begründung, wozu welche Übung sinnnvoll ist und häufig auch ohne die Möglichkeit für Schüler:innen, Feedback über den Lernweg zu geben. Lerngruppen anstattdessen ein Angebot verschiedener Wege zu machen, vorab mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen, was funktionieren könnte, was schon einmal funktioniert hat und was nicht - dies wäre ein Anfang. Bei folgenden Sprechgelegenheiten können Schüler:innen dann vielleicht schon selbst auswählen, wie sie Sprechen vorbereiten möchten und in welchem Umfang. Gleiches gilt für die Wortschatzarbeit: Über langweilige und unzusammenhängende Wortschatzlisten im Lehrbuch hinaus Lernenden dabei helfen, Hilfsmittel zu nutzen: In Form von Übersetzern wie DeepL, in Form von Methoden zum Aufbau eines individuellen Wortschatzes und auch hier begleitende Bewusstmachung. Die ist ebenfalls wichtig beim Lesetraininig: Lehrwerkstexte eignen sich selten dazu, ein früher Einsatz authentischer Texte mit für SuS relevanten Inhalten jenseits der Lehrbuchfiguren in Kombination mit intensivem Training von Wort- und Satzerschließungsstrategien legen den Grundstein für einen späteren, selbständigen Zugriff auf Texte. Spezifika des Lesetrainings digitaler Texte, vor allem der verschiedenen Lesestile und deren Nutzen zu besprechen, kann ein Baustein auf dem Weg zur selbständigen Text- bzw. Informationsauswahl sein: Nicht die Lehrkraft bestimmt, welche Informationen sich Lernende aneignen, sondern die Lernenden selbst. Im Austausch mit anderen kann dann auf diese Weise multiperspektivisch und interessengeleitet auf ein Thema zugegriffen werden. Das Wie sollte zuvor Schritt für Schritt geübt und bewusst werden - eine Feedbackkultur, in der von Peers und Lehrkraft Rückmeldungen gegeben werden, eine vertrauensvolle Lernatmosphäre, in der Fehler ausdrücklich gemacht werden dürfen, unterstützt dabei. Selbständigkeit im Fremdsprachenunterricht ist kein Selbstläufer, ohne das Wissen darum sind Lernende häufig überfordert.

Aber was ist denn mit dem Stoff? Ich habe doch gar keine Zeit dazu! Zumindest in NRW lassen die KLP in den Sekundarstufen viele inhaltliche Freiheiten und betonen die Exemplarizität der inhaltlichen Schwerpunkte, die Fachschaften selbst auswählen und in den schulinternen Curricula festschreiben. Diese beherzt zu entrümpeln, Schwerpunkte zu verlagern und nicht einfach den Lektionen des Lehrwerks zu folgen wäre ein erster Schritt, mehr gemeinsames Arbeiten innerhalb des Spanischkollegiums ein zweiter.

Zusammenarbeit ermöglichen

Als eine der 4K spielt Kollaboration auch im Fremdsprachenunterricht eine große Rolle und zwar schon lange, zum Beispiel als Möglichkeit, die Sprechaktivität aller Lernenden zu erhöhen. Wenn Lernende nun in Projekten selbständig über einen längeren Zeitraum miteinander arbeiten sollen, stellt sich die Frage der Nutzung des Spanischen als Arbeitssprache, vor allem in den neueinsetzenden Kursen in der Qualifikationsphase: Sprechen die Schüler:innen dann nicht über Tage und Woche hauptsächlich Deutsch? Wie schaffe ich es, an dieser Stelle die Nutzung der Zielsprache zu etablieren? Einsprachigkeit ist im artifiziellen Schulumfeld ein zartes Pflänzchen, das mit Liebe und Sorgfalt großgezogen und später gehegt und gepflegt werden muss. Die Grundlagen müssen im ersten Lernjahr geschaffen werden. Hier reicht es nicht, den Schüler:innen Vokabelblätter mit den entsprechenden Wendungen auf den Tisch zu legen und sie zu bitten, in einer Gruppenarbeit Spanisch zu sprechen. Genau wie Wortschatz zu anderen Themenfeldern muss dieser - auf welche Art auch immer - eingeführt und aktiv und lernschleifig geübt werden. Das könnte z.B. zu Beginn einer Stunde geschehen, in Form einer Tandemübung, v. Kommunikationskärtchen, etc. oder als sprachbezogene kurze Phase vor der kollaborativen Arbeit. Bei fortgeschrittenen Schüler:innen bietet es sich an, dass sie während Phasen der Zusammenarbeit fehlendes Vokabular bei DeepL nachschlagen und in ein gemeinsames Dokument eintragen. Dies ist vor allem deswegen sinnvoll, weil es als Lehrkraft oft schwierig ist, zu antizipieren, welche Ausdrücke Lernende bei der Zusammenarbeit brauchen. Sicher ist es aber trotzdem möglich, dass sich Fachschaften zusammensetzen, Einführungseinheiten gemeinsam entwerfen und Wortlisten erstellen und teilen. Dass die Lehrkraft Sprachvorbild ist, versteht sich von selbst. Das bedeutet, dass es auch Phasen gibt, in denen die Nutzung des Deutschen sinnvoll ist, dazu gehört aber in erster Linie, dass Schüler:innen in ihrem Verstehen der Zielsprache herausgefordert werden und erkennen, dass nicht immer jedes Wort verstanden werden muss, um dem Gesagten zu folgen. Wenn die Lehrkraft sich angewöhnt, alles in der Fremdsprache zu sagen, auch Organisatorisches, Erzieherisches, Lustiges, etc., entsteht umso schneller eine Lernatmosphäre, die Einsprachigkeit ermöglicht. Das ist beileibe nicht neu, allein, man sieht es selten.

Partizipation fördern

Schüler:innen sind Experten für Vieles. Häufig haben sie eine genaue Vorstellung davon, wie sie gerne und gut lernen und welche Themen sie interessieren. In einem Fach, in dem oft erst Sprechhemmungen abgebaut werden müssen, ist es deswegen besonders wichtig, das Mitteilungsbedürfnis von Schüler:innen ernst zu nehmen. Es spricht sich leichter, wenn man etwas zu sagen hat. So könnte schon im ersten Lehrjahr gemeinsam mit den Schüler:innen darüber nachgedacht werden, was sie gern in der Fremdsprache ausdrücken möchten - auf diese Weise kann z.B. ein Quartal grob geplant werden. Der grammatischen Progression des Buches kann man dann nicht folgen, muss man aber auch nicht. Wenn mit Lerngruppen das selbständige Arbeiten geübt wird, z.B. im Umgang mit neuem Wortschatz, dann können auch Lektionen im Lehrwerk flexibel genutzt werden und um authentische Materialien erweitert werden (Analoge fremdsprachliche Lehrwerke erschweren übrigens zeitgemäßen Unterricht auf vielen Ebenen, dazu aber an anderer Stelle bald mehr). Mehr Flexibilität, weniger Korsett könnte die Devise lauten, um Schüler:innen stärker in den eigenen Lernprozess einzubeziehen - der Grundstein könnte gemeinsam in der Fachschaft gelegt werden.

Authentizität und Öffnung von Unterricht in der Digitalität

Authentizität - ein viel genutzter, dehnbarer Begriff, dessen ich manchmal sehr müde bin. Zu viel wird als authentisch verkauft, vorgegaukelt, aber am Ende sind’s nur Arbeitsblätter im Blogdesign oder hahnebüchene Sprachmittlungssituationen. Vielleicht ist es deswegen an der Zeit, dieses Buzzword neu zu bestimmen. Sprechanlässe sind nicht allein deswegen authentisch, weil die Schüler:innen einen Perspektivwechsel vollziehen und sich in eine fiktive spanischsprachige Person hineinversetzen. Die Spanischlehrwerke sind voll solcher Aufgaben und das seit sehr langer Zeit. Werfen wir doch lieber einen Blick auf die Möglichkeiten, die der digitale Raum bietet: Projekte mit Partnerschulen in den Zielländern sind eine Möglichkeit, die sehr viel leichter als zuvor zu realisieren ist (Adriana Langela-Bickenbachs GLAS-Projekt ist ein Beispiel dafür), aber auch darüber hinaus gibt es mannigfaltige Gelegenheiten für Spanischlernende, sich zu äußern: Sei es in den sozialen Medien, sei es in Form von Kommentaren zu Blogbeiträgen, Zeitungsartikeln, etc., sei es durch das Erstellen und Veröffentlichen eigener Produkte. So sieht z.B. der Kernlehrplan Spanisch in NRW das Verfassen von Blogbeiträgen im Bereich Text- und Medienkompetenz vor. Wenn dies ernst genommen wird, kann man Schüler:innen weder Blogbeiträge auf Papier verfassen lassen noch in Word-Dokumenten, denn so gehen Spezifika verloren, die grundlegend für diese Gattung sind und mit ihnen wahrscheinlich auch Motivation und Lernzuwachs. Erste Schritte könnten zu Instant-Blogging-Diensten führen, auf denen Lerngruppen ihre Texte veröffentlichen, auch die Idee eines eigenen Blogs, vielleicht sogar zusammen mit einer Partnerschule aus spanischsprachigen Ländern, ist sicher gewinnbringend. Nicht für die Lehrkraft produzieren, sondern für ein breiteres Publikum, könnte ein Gedanke sein, der den Weg hin zu authentischer Kommunikation mit Menschen aus den Zielländern weist.

Raus aus dem Lehrbuchkorsett, neue Wege zusammen mit den Lerngruppen erkunden und dabei Selbständigkeit fördern - in Form von Methodentrainings, von gemeinsamem Reflektieren über das eigene Lernen, indem man Einsprachigkeit und Begegnungssituationen ermöglicht und Lernende mitbestimmen lässt, wie und an welchen Aspekten sie arbeiten möchten und dabei Kollaboration und fremdsprachlichen Austausch fördern - auf diese Weise kommt man sicher dem Ziel näher, Schüler:innen in der Entwicklung von Mehrsprachigkeit und lebensbegleitetendem Sprachenlernen zu unterstützen.

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Sprechen im Spanisch- und Französischunterricht: We need to talk.

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Scrum + Lernen durch Lehren = Big Love